„Sei ein Schwamm und kein Schwätzer“ – Interview mit Innovation Scout Annika Hoeltje
Das InnovationCamp BW Silicon Valley, welches Anfang 2018 vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg initiiert wurde, bietet mittelständischen Unternehmen die Möglichkeit, dem Spirit und den Methoden des innovativsten Standorts der Welt auf die Spur zu kommen. Als Innovation Scout für das Land Baden-Württemberg im Silicon Valley leitet Annika Hoeltje die Aktivitäten vor Ort. InnovationCamp-Alumni IBsolutions hat sich mit ihr zum Interview getroffen. Sie erläutert die Ziele des InnovationCamps, geht auf die Erfolgsfaktoren und den Mindset des Silicon Valleys ein und blickt in die technologische Zukunft.
Welche Aufgaben hast du als Innovation Scout für das Land Baden-Württemberg im Silicon Valley?
Zum einen halte ich Ausschau nach neuen digitalen Technologien und Geschäftsmodellen, die im Silicon Valley entstehen, und gehe der Frage nach, welche Chancen und Herausforderungen sich daraus für baden-württembergische Unternehmen ergeben. Zudem untersuche ich, inwieweit Innovationsmethoden, die im Silicon Valley erfolgreich erprobt wurden, auch für Baden-Württemberg relevant sind. Diese Erkenntnisse präsentiere ich im InnovationCamp Blog und auf verschiedenen Events.
Zum anderen organisiere ich das InnovationCamp BW im Silicon Valley. Das Prinzip: Baden-württembergische Mittelständler sind für drei Wochen im Silicon Valley zu Gast, um konkrete Fragestellungen mit Blick auf die Digitalisierung sowie neue Geschäftsmodelle und Produkte zu bearbeiten. Vor Ort werden sie von unserem InnovationCamp-Team sowie von namhaften Experten und Mentoren unterstützt. Das können Start-up- oder Unternehmensgründer, lokale Venture Capitalists oder Hochschulprofessoren sein. Es geht darum, die im Silicon Valley angewandten Methoden in der baden-württembergischen Wirtschaft zu verankern und neue Technologien für sich nutzbar zu machen.
Welche Ziele verfolgt das InnovationCamp BW Silicon Valley?
Die Teilnehmer können erfolgserprobte Innovationsmethoden lernen, ausprobieren und ihre Anwendbarkeit auf das jeweilige Unternehmen prüfen. Wir verschaffen ihnen einen anderen Blick auf das eigene Geschäft. Muss ich mich in der globalisierten und digitalisierten Welt neu positionieren, um dauerhaft erfolgreich zu sein? Welche innovativen Produkte und Serviceleistungen können mein Portfolio sinnvoll ergänzen?
Gleichzeitig geben wir den Teilnehmern die passenden Werkzeuge an die Hand, um ihre Ideen hinsichtlich Bedarf und Machbarkeit zu validieren. Wie interviewe ich potenzielle Kunden richtig, um den Mehrwert eines neuen Produktes schon vor der Entwicklung weitgehend zu validieren? Wie erstelle ich ein Minimal Viable Product, also ein Produkt, das zunächst nur die Mindestanforderungen erfüllt, um die wichtigsten Hypothesen zum Kundenmehrwert zu testen? Wie ermittle ich, ob es für meine Idee einen Product-Market-Fit gibt? Mit den richtigen Techniken finden die Teilnehmer Antworten auf diese Fragen.
Das InnovationCamp ist aber auch eine Plattform für das Networking. Wir organisieren bereits im Vorfeld Termine mit potenziellen Kunden, Geschäfts- und Technologiepartnern im Silicon Valley. So kommen die Teilnehmer mit ausgewiesenen Branchenexperten ins Gespräch und können die Inhalte passgenau für das eigene Business nutzen.
Wie fällt deine Bilanz der bisherigen Auflagen des InnovationCamps aus?
Seit dem Auftakt 2018 hat das Programm inzwischen viermal stattgefunden. Das Feedback der Teilnehmer ist durchweg positiv. Einige Unternehmen haben in veränderter Besetzung bereits zum zweiten Mal teilgenommen oder sich ein weiteres Mal angemeldet. Viele Geschäftsführer schätzen insbesondere, dass sie sich – losgelöst vom Tagesgeschäft – zwei bis drei Wochen lang intensiv damit beschäftigen können, wie ihr Unternehmen in zehn Jahren aussieht. Denn eines ist klar: Um Out-of-the-box-Ideen zu entwickeln, muss man auch wirklich raus aus der Box.
Was fasziniert dich persönlich am Silicon Valley?
Den Tatendrang, die Begeisterungsfähigkeit und die Experimentierfreude der Menschen finde ich beeindruckend. Sie sind Feuer und Flamme für ihre Vision und arbeiten zielstrebig darauf hin. Bei neuen Entwicklungen sehen sie eher die Chancen als die Risiken. Die Menschen sind sehr kommunikativ, neugierig und tauschen sich gerne aus. Mit solchen Leuten zusammenzuarbeiten, macht mir großen Spaß. Außerdem schätze ich die enorme Interkulturalität: Die klügsten Köpfe aus der ganzen Welt kommen im Silicon Valley zusammen, um gemeinsam ihre Visionen zu verwirklichen.
Was macht das spezielle Silicon-Valley-Mindset aus?
Ich fasse die Mentalität gerne mit „Learning, Sharing, Doing“ zusammen. Learning bedeutet, dass die Leute wissbegierig und vollkommen darauf fokussiert sind, möglichst viele Details über die Probleme der Kunden zu erfahren. Sharing bezieht sich auf die Frage, wie ich diese Probleme nicht allein, sondern gemeinsam mit anderen lösen kann. Networking spielt hier eine wichtige Rolle, man tauscht sich intensiv mit Start-ups, Unternehmen, Universitäten oder weiteren Partnern aus, um Einschätzungen aus verschiedenen Perspektiven zu bekommen. Doing meint, dass Ideen schnell umgesetzt und Dinge einfach einmal ausprobiert werden. Da erst im kleinen Rahmen getestet wird, ist das Risiko meist begrenzt.
Wie lautet die Erfolgsformel der Unternehmen im Silicon Valley?
Neben dem radikalen Fokus auf den Kundennutzen spielt die Geschwindigkeit eine wesentliche Rolle, mit der Ideen umgesetzt werden. Die Menschen sind offen für Neues. Amerikaner haben am Anfang meist nur eine Vision und einen Prototyp, den sie testen und weiterentwickeln. Wenn etwas nicht klappt, machen sie einen Pivot, einen Richtungswechsel. So tasten sie sich Schritt für Schritt heran, aus ihrer Vision Realität zu machen. In Deutschland hingegen brütet man häufig lange über einem Plan, bis man sich damit an die Kunden wendet. Es wird oft schon im Vorfeld nach Gründen gesucht, warum etwas nicht klappen wird.
Scheitern gilt in Deutschland als etwas Negatives. Im Silicon Valley sind sich die Menschen darüber im Klaren, dass neun von zehn Ideen sich nicht durchsetzen werden. Obwohl die Erfolgswahrscheinlichkeit gering ist, versuchen sie es trotzdem. Das Risiko zu scheitern grenzen sie ein, indem sie mit möglichst vielen potenziellen Kunden sprechen, bevor sie Geld in Entwicklung, Marketing und Sales investieren. Ein amerikanischer Mentor des InnovationCamps gibt immer die Devise aus: „Sei ein Schwamm und kein Schwätzer.“ Er meint damit, dass es bei den Kundeninterviews nicht um das eigene Produkt, sondern ausschließlich um die Probleme der Anwender gehen soll. Wer so viele Informationen wie möglich aufsaugt und so wenig wie möglich von sich oder seiner Technologie selbst erzählt, erhöht die Chance auf einen Product-Market-Fit. Am Ende soll der Kunde genau das Produkt bekommen, was er braucht und wofür er auch bereit ist viel Geld zu zahlen.
Welche Rolle spielt die Nähe zu den Universitäten Stanford und UC Berkeley für den Erfolg des Silicon Valleys?
Die beiden Unis sind ein entscheidender Faktor und arbeiten sehr eng mit der Wirtschaft zusammen. Diese Kooperation und das gemeinsame Realisieren von Projekten läuft sehr unbürokratisch ab. Stanford und UC Berkeley achten darauf, dass sie den Studenten nicht nur Technologie-Skills vermitteln, sondern auch Know-how zum Entrepreneurship mitgeben. So sind die Absolventen mit dem erforderlichen Rüstzeug ausgestattet, das sie für die Arbeit bei einer Start-up- oder für eine erfolgreiche Unternehmensgründung benötigen. Die Professoren agieren zum Teil auch selbst als Geldgeber und investieren in vielversprechende Start-ups.
Kann man Innovation lernen?
Definitiv, am besten natürlich im InnovationCamp (lacht). Viel hängt vom richtigen Vorgehen ab: Man muss immer wieder fragen und ausprobieren. Die Teilnehmer, die die Silicon-Valley-Methoden im InnovationCamp anwenden, haben oft einen Aha-Effekt und merken, dass diese auch in Deutschland funktionieren. Wenn sich der Geschäftsführer eines Unternehmens mit Gründern unterhält, kann er viel für das eigene Business lernen. Möchte man ein neues Produkt entwickeln, ist die Vorgehensweise durchaus mit der eines Start-ups vergleichbar, weil man den Markt nicht gut kennt, ganz neue Kundenwünsche und Technologien zusammen bringen, und sich richtig positionieren muss.
Wie werden deutsche Unternehmen und speziell der Mittelstand im Silicon Valley wahrgenommen?
Deutsche Unternehmen sind eher weniger für innovative Softwareentwicklung bekannt. Aber beim „German Engineering“, also allem, was mit Hardware zu tun hat, etwa beim Maschinenbau und in der Produktion, steht Deutschland für herausragende Qualität. Weil die dortigen Start-ups aktuell viel Software für den Industrie 4.0 Bereich entwickeln, gelten insbesondere deutsche Mittelständler als begehrte Partner, um gemeinsam neue Anwendungen zu entwickeln und zu testen.
Du lebst seit knapp acht Jahren in der Bay Area. Was war für dich die größte Umstellung?
Als Deutsche musste ich vor allem meine Skepsis überwinden und die typische „Ja, aber“- in eine „Ja, und“-Einstellung verwandeln. Auch Bescheidenheit und der Drang, alles perfekt machen zu wollen, stehen einem eher im Weg. Bei der Frage, ob man eine Aufgabe bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erledigen kann, sollte man nicht zögern, sondern die Deadline zusagen. Wenn es dann doch nicht ganz klappt, ist es auch nicht schlimm, solange man es frühzeitig kommuniziert.
Und ich musste mir angewöhnen, häufiger zu loben. Wir Deutschen üben gerne konstruktive Kritik, vernachlässigen es aber bisweilen, gute Leistungen anzuerkennen und zu feiern. Ich weiß gar nicht, warum uns das so schwerfällt, denn Loben ist doch etwas Schönes. Positive Rückmeldungen sind gerade im Silicon Valley wichtig, weil die Menschen regelmäßig Feedback einfordern. Ich habe ein deutsches Team um mich herum und stelle erfreulicherweise fest: Wir können das auch.
Welche Themen bewegen das Valley aktuell?
Die Veränderung der Mobilität durch den baldigen Einsatz von autonomen und vernetzten Elektro- und Hybrid-Taxiflotten ist derzeit im Valley ein Riesenthema. Unabhängig von der Branche sollten sich deutsche Firmen sehr genau mit den neuen technologischen Entwicklungen in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Machine und Deep Learning beschäftigen. Diese Querschnittstechnologien werden schon bald einen immensen Einfluss auf alle Industrien und Branchen haben. Viele Deutsche denken, dass es im Silicon Valley vor allem um B2C geht, dabei ist die Region im B2B Bereich ebenso stark. Valley Firmen wie Google aber auch junge Start- ups dringen immer stärker in den B2B-Bereich vor und beschäftigen sich auch stark mit Industrie 4.0 Themen, weil das ein äußerst lukrativer Markt ist. Eine McKinsey-Studie prognostiziert für das Internet of Things bis 2025 einen wirtschaftlichen Mehrwert von bis zu 11,1 Billionen US-Dollar.
Die technologische Entwicklung läuft in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit ab und die sogenannte Plattform-Ökonomie gewinnt immer mehr an Einfluss. Amazon hat im vergangenen Jahr knapp 23 Milliarden US-Dollar in Forschung und Entwicklung investiert. Das Ziel des Unternehmens ist es, eine Branche nach der anderen zu besetzen und zu dominieren. Auch bei Industrie 4.0 Themen und in der industriellen Fertigung werden sich Plattformen immer stärker durchsetzen, selbst wenn sich das viele heute noch nicht vorstellen können. Dazu gibt es im Silicon Valley schon einige spannende Ansätze, die auch von deutschen Unternehmen mit großem Interesse verfolgt werden.
Interview: Daniel Schumacher; zuerst erschienen auf dem IBSolutions Blog.