Baden-Württemberg baut eine Brücke ins Silicon Valley
Neue digitale Technologien und Geschäftsmodelle stellen nicht nur für große Unternehmen, sondern auch für den deutschen Mittelstand existentielle Bedrohung sowie spannende Möglichkeiten dar. Diese Einsicht setzt sich auch in Deutschland immer mehr durch und so mahnt die Politik deutsche Unternehmen, sich schnell auf den digitalen Wandel einzustellen. Doch was genau tun? Wie digitalisiert man nicht nur die schon bestehenden Prozesse, sondern erschließt sich auch ganz neue Kundengruppen durch digitale Produkte und Geschäftsmodelle? Wie behauptet man sich in einer zunehmend globalen Plattformökonomie, in der große US-Konzerne wie Amazon und Co. in immer mehr Industrien und Geschäftsbereichen die Schnittstelle zum Kunden kontrollieren?
Eine aktive Auseinandersetzung mit dem weltweit führenden Innovationsökosystem Silicon Valley, das bei der Digitalisierung den Ton angibt, kann für deutsche Firmen entscheidend sein. Hier wird nicht von Digitalisierung gesprochen – hier wird sie gelebt. Das hiesige Innovationsökosystem ist weltweit einzigartig und vor allem dank des symbiotischen Zusammenspiels der verschiedenen Akteure so erfolgreich. Neben Forschungsinstituten und Elite-Universitäten wie Stanford und der UC Berkeley finden sich hier Technologieriesen wie Google und Intel, aber vor allem auch an die 60.000 Startups. Ein Viertel des weltweiten Kapitals wird im Silicon Valley investiert, was das rasante Wachstum von Startups anfeuert und schon über 70 „Unicorns“ hervorgebracht hat. Als Einhörner werden private Firmen bezeichnet, die vor einem Verkauf oder Börsengang mit mindestens einer Milliarde US-Dollar bewertet werden. Unzählige Inkubatoren und Acceleratoren vermitteln Gründerteams die nötigen Methoden wie z. B. Lean Entrepreneurship, die das schnelle und kundenorientierte Verproben von neuen Lösungen ermöglichen. Experimentierfreude und Risikobereitschaft bestimmen nicht nur bei Startups die Arbeitskultur. Auch Großkonzerne im Silicon Valley sind daran gewöhnt kalkulierte Risiken einzugehen, indem sie die ersten Kunden, so genannte „Early Adopters“, für die unzähligen B2B-Startups darstellen und häufig auch selber als Startup-Investoren auftreten.
Vor allem im Softwarebereich ist die Dominanz des Silicon Valleys unumstritten. Startups nutzen Softwareplattformen und künstliche Intelligenz-Algorithmen und Netzwerkeffekte, um ganze Branchen und Industrien innerhalb weniger Jahre auf den Kopf zu stellen. Auch traditionell Maschinenbau-dominierte Industrien müssen sich schnell auf große Veränderungen einstellen. Selbst die deutsche Automobilbranche kann kaum mit dem Tempo des Silicon Valleys mithalten. 60 Firmen testen bereits autonome Fahrzeuge auf den Straßen Kaliforniens.
InnovationCamp BW und Innovationscout kommen ins Silicon Valley
Um sich bei der Entwicklung neuer Produkte mit dem Silicon Valley zu vernetzen und von den dortigen Gegebenheiten zu profitieren, haben neben Firmen aus der ganzen Welt auch unzählige deutsche Konzerne Standorte im Valley etabliert. Firmen wie SAP, Daimler, Bosch und ZF haben die Vorteile des Valleys für ihre Innovationsprozesse erkannt. Auch für KMUs wäre der Zugang zum Valley ein entscheidender Wettbewerbsvorteil, aber schwieriger zu realisieren. Häufig fehlen die finanziellen Mittel oder das Netzwerk um vor Ort schnell die richtigen Geschäftskontakte und Insiderinformationen zu bekommen.
An dieser Stelle hat das Land Baden-Württemberg ein neues Projekt ins Leben gerufen – das InnovationCamp BW. Das Programm baut eine Brücke ins Silicon Valley und gewährt baden-württembergischen KMUs einen Einblick in Cluster und Methoden vor Ort.
In regelmäßigen InnovationCamps können baden-württembergische KMUs die Methodik des erfolgreichen Innovationscoutings und -managements erlernen und im Valley zu konkreten Fragestellungen Lösungen entwickeln. Das InnovationCamp BW ist ein Projekt des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums und wird von Baden-Württemberg International und der AHK in San Francisco durchgeführt. Das drei-wöchige Programm bietet Firmen einen ganz neuen Blick auf ihr eigenes Geschäft und ermöglicht es ihnen wichtige Weichen für die Zukunft zu stellen.
Die Firmen haben für drei Wochen einen Arbeitsplatz im Co-Working Space Galvanize und erarbeiten sich mithilfe des AHK-Teams und hoch qualifizierten Mentoren neue Methoden und Insider-Informationen zur Zukunft der jeweiligen Geschäftsfelder.
Das Camp wird vom Innovationscout des Landes Baden-Württembergs im Silicon Valley, Annika Hoeltje, geleitet. Sie lebt und arbeitet seit acht Jahren im Valley. Als Innovationscout beobachtet sie wichtige Wirtschafts- und Technologietrends und setzt Geschäftsleute und Experten aus beiden Regionen miteinander in Verbindung, um Synergien auszunutzen und transatlantische Projekte voranzutreiben.
Annika Hoeltje führt als Innovationscout individuelle Vorbereitungsgespräche mit allen teilnehmenden Firmen, um spezifische Fragestellungen gemeinsam zu definieren. Basierend auf diesen Erkenntnissen, vereinbart das InnovationCamp-Team der AHK individuelle Termine mit Silicon Valley Firmen, Technologie- und Branchenexperten, die als Informations – oder Kundengesprächspartner dienen. Bevor es mit den individuellen Treffen los geht, gibt es nach Ankunft im Valley für alle Teilnehmer ein gemeinsames Bootcamp – ein intensives Gruppenprogramm zur Einführung in das Silicon Valley Innovationsökosystem und die lokale Arbeitskultur. Mit Hilfe von Firmenbesuchen und Expertenworkshops wird die sehr erfolgreiche Herangehensweise an Produkt- und Geschäftsmodellinnovation erlernt, die dann im individuell zugeschnittenen Teil der Reise angewandt wird. Ziel des InnovationCampsBW ist es, konkrete Lösungen für Unternehmen zu entwickeln und neue Erkenntnisse erfolgreich anzuwenden.
Erste Partnerschaften wurden geschlossen
Ein Beispiel für die entstehende innovative Dynamik liefert die Firma Zwick Roell, einer der weltweit führenden Anbieter von Materialprüfmaschinen. Im Rahmen des ersten InnovationCamps fand die Firma durch Gespräche mit Robotik-Experten und Startups im Silicon Valley einen Partner, mit dem sie bereits an der Entwicklung eines gemeinsamen Produktes arbeitet. Bei der neuen Lösung handelt es sich um einen kooperierenden Roboter (mitsamt Software Plattform), der Materialproben in Maschinen einlegen kann und somit dem Kunden Zeit und Geld erspart. An diesem Beispiel ist gut zu erkennen, welche Vorteile ein erfolgreiches Innovationscouting haben kann – das Beste aus zwei Welten wird miteinander verbunden, um neue Produkte und Services zu realisieren und um sich langfristig einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil zu sichern.
Das InnovationCamp BW geht Ende November in die dritte Runde – im Jahr 2019 werden drei weitere Termine folgen.